Zum Abspaltungsreferendum der Schotten Ende letzten Jahres wurden wir wieder an all jene Gemeinschaften erinnert, welche in Europa nach Unabhängigkeit trachten. Anscheinend üben diese einen besonderen Reiz aus – nach der Bretagne führte mich der Zufall im letzten September ins französische Baskenland.
Ich war neugierig auf das Pays Basque und meine Phantasie ging wieder mit mir durch. Ich hatte in der Schule einmal ein Referat über die ETA gehalten und mich im Laufe des Studiums ein wenig mit der baskischen Sprache befasst. Einen kleinen Einblick hatte ich also schon. Und der war vielversprechend: Eine Identität, seit Jahrhunderten unterdrückt und im Verborgenen gelebt, eine exotische Sprache, deren Ursprünge einfach nicht zu bestimmen sind, eine Kultur, die sich trotz aller Widrigkeiten zu halten wusste.
Dies alles eingebettet in eine herrliche Landschaft: raue Berge und ebenso raue Strände auf engstem Raum.
Meine Phantasie zeichnete zähe, unbeugsame und stolze Menschen, konspirative Treffen, wie ich sie in Syrien erlebte, ein rebellischer Hauch Chaos, ein sichtbarer, spürbarer Wille nach Freiheit und Unabhängigkeit.
Nun ja … das Baskenland sollte eine Lektion für mich bereithalten.
Auf der Fahrt von Bordeaux über Pau nach Bayonne starrte ich gespannt aus dem Fenster und wartete auf das Baskenland meiner Phantasie. Es kam nicht. Ich sah strahlend weiße Häuser, schmucke, gepflegte Gärten, Geranien an den Fenstern. Alles sehr ordentlich, sauber, reglementiert. Ein ungeduldiger Blick auf die Karte verriet mir, was ich bereits leise ahnte: Ich brauchte nicht länger zu warten, ich war längst im Herzen des Pays Basque.
Was nun? Es blieb nur eines: zurücklehnen, die südliche Sonne genießen und die leise Stimme, die mir Vergleiche mit Bayern und Tirol einflüsterte, so weit es ging in den Hinterkopf zu verbannen. Einmal mehr waren meine Erwartungen im Vorfeld davon geprescht. Nun mussten sie wieder eingefangen werden.
Bayonne ist eine schöne, alte Stadt. Die Häuser in der Innenstadt, am Rande des mächtigen Flusses Adour, stehen unter Denkmalschutz. Ein bisschen schief und krumm stehen sie da, Risse in der Fassade und verwitterte Fensterläden – welch ein sympathisches Flair nach all der erdrückenden Ordentlichkeit! Und welch eine Ironie, dieses Flair der französischen Bürokratie zu verdanken. Allein der Denkmalschutz ermöglicht diesen leicht verfallenen Charme. Der Fluss selbst ist von kleinen Cafés und Restaurants gesäumt. Wie könnte es anders sein: Sie sind sauber, geordnet, schmuck … und für meinen Geschmack einfach zu angepasst.
Ich möchte dem Baskenland gegenüber nicht unfair sein. Ohne Zweifel wird dort eine uralte Kultur gehegt und versucht, am Leben zu erhalten. Für den aufmerksamen Besucher blitzt sie immer wieder kurz durch den Schleier aus ordentlichen Fassaden. Wichtig scheint vor allem die Abgrenzung zu den Franzosen. Doch diese geht nicht mit lautem, offensichtlichen Widerstand einher. Vielmehr werden schlichtweg andere Regeln und Konventionen angenommen. Es ist ein Fehler, anzunehmen, dass sich der Wunsch nach Unabhängigkeit in allen Lebensbereichen zeigt. Es geht eher um die Freiheit, eigene soziale und gemeinschaftliche Normen aufzustellen und befolgen zu dürfen. Und in diesem Fall scheint die Rebellion in gnadenloser Ordentlichkeit zu bestehen – pourquoi pas?
Ich kehrte dem Pays Basque den Rücken und machte einen kurzen Abstecher zurück in die alte Heimat, ins Midi. Zu jenem Ort, an dem die Formen der Hügel mir ebenso vertraut sind wie die kleinen, buckeligen Sträßchen. Dort, wo die einzigartige Kombination aus Farben, Gerüchen, Sonnenlicht und Geräuschen all meinen Sinnen zuflüstert: Das hier kennst du, hier kannst du zuhause sein.
Ich bin sicherlich befangen, doch hier sah ich sie wieder: die Freiheit. Die Freiheit, abseits von gewichtigen sozialen Gesetzen und umständlichen Regeln, sein Haus so zu bauen, wie man es möchte. Die Freiheit, seinen Garten wild zu lassen, seinem Lebensstil zu folgen. Die Freiheit, dem Anderen seinen Weg zu lassen, ohne ihn aus der Gemeinschaft auszuschließen.
Die Ironie: Ich spreche von dem tiefen Süden, dort unten an der spanischen Grenze, der mit Vorliebe den Front National – die FN – wählt. Jene FN, die zu der Freiheit eines jeden Einzelnen ein mehr als gespaltenes Verhältnis hat. Welch ein Widerspruch!