Aufstehen. Frühstück. U-Bahn-Fahrt. Arbeit. U-Bahn-Fahrt. Wieder zu Hause. Gewöhnliche Arbeitstage verschwimmen ineinander. Sie folgen einer immergleichen Struktur. Tage und Woche vergehen so schnell, der Geist hüpft von Wochenende zu Wochenende – der Rest der Woche wird ausgeblendet. Aber müssen sich Arbeitszeit und Lebensart derart auszuschließen?
Konzentration, Aufmerksamkeit, Sorgfalt – das Gehirn arbeitet während der Arbeit auf Hochtouren. Kurze Pausen zum Luft schnappen entspannen die beanspruchten grauen Zellen kaum. Dann: Halbzeit! Die Mittagspause naht.
Doch oftmals besteht die Auszeit aus einem schnellen Gang zum Bäcker und dem hastigen Herunterschlingen eines Brötchens – letzteres auch gerne vor dem Laptop. Nicht rausreißen lassen – keine Zeit verlieren! Ausgedehnte Mittagspausen (ganze 60 – in Worten: Sechzig! Minuten lang), in denen Privates, Absurdes und nichts Arbeitrelevantes besprochen wird, sind selten. Lieber kürzen wir die Zeit um die Hälfte, um etwas früher Feierabend machen zu können. Dabei verlangt die Arbeitsstelle eine Pause von mindestens einer Stunde.
Wie anders sind da im Vergleich Erinnerungen an Frankreich! Dort stellt die Mittagspause in weiten Teilen ein nahezu heiliges Kulturgut dar. Banken, Postämter, Supermärkte… zwischen 12 und 14 Uhr sind die Türen fest verschlossen und die Mitarbeiter beim Essen. Diese kostbaren zwei Stunden werden eifersüchtig verteidigt. Der Gedanke, sie einzusparen, könnte in Frankreich befremdlicher nicht sein.
Während meiner Zeit in der Redaktion war eine gemeinsame Mittagspause geradezu an der Tagesordnung. Ein richtige, ausgedehnte Pause, in welcher wir zusammen essen gehen konnten. In diesen ein, zwei Stunden ließen wir beim Verspeisen des jeweiligen Mittagsgerichtes die Arbeit Arbeit sein.
Dies war der Moment, in dem Anekdoten ausgetauscht, Privates erzählt und Geschichten mal um mal weiter gesponnen wurden. Mit der Zeit entwickelte sich dabei ein hoher Grad an Intimität und eine gewisse Vertrautheit zwischen uns.
Die beiden anderen Mitglieder der kleinen Lokalredaktion – ein Leiter und ein weiterer Redakteur – waren keine Freunde. Sie werden es nie sein und sich außerhalb der Arbeitszwänge wahrscheinlich immer aus dem Weg gehen. Trotzdem sitzen sie noch heute fast jeden Mittag zusammen, tauschen private Gedanken aus und erfreuen sich so gut wie möglich an diesem Moment – da bin ich mir sicher.
Dieser absolut zivilisierte und menschliche Weg, eigene Diskrepanzen zum Wohle eines genussvollen Moments und Arbeitsklimas beiseite zu räumen, hat mich sehr beeindruckt.
Acht Stunden Arbeitszeit – eigentlich machen diese 480 Minuten noch lange keinen ganzen Tag aus. Aber in dieser Zeit beanspruchen wir unsere Denkleistung, unsere Kreativität, unsere mentalen Ressourcen voll. Am Ende des Tages bleiben meistens nicht allzu viel Motivation und Energie übrig.
Wie lässt sich die halbe Stunde Zeitgewinn durch ein runtergeschlungenes Brötchen gegen das gewonnene Lebensgefühl einer echten Pause aufwiegen? Ich selbst ertappe mich immer öfter dabei, keine Zeit verlieren zu wollen. Schnell zum Bäcker und zurück zur Arbeit: Eine halbe Stunde wird so locker eingespart. Den Feierabend um 30 Minuten nach hinten schieben? Warum, es geht ja auch so!
Dass dabei mehr als eine Spur Selbstwichtigkeit und -überschätzung mitschwingt, vergesse ich allzu gerne. Alles läuft genauso gut, wenn ich meinem Gehirn einige Minuten Auszeit gönne. Mein Partner wird nicht todtraurig in Depressionen versinken, wenn ich eine halbe Stunde später nach Hause komme. Diese wertvollen, rausgepressten 30 Minuten, nutze ich auch sicher nicht, um mein Lebensgefühl für diesen Tag radikal zu verbessern.
Lachen, entspannen, Gedanken und Sichtweisen austauschen: Das sind die Momente, die auch in der Mitte eines stressigen Tages in Erinnerung bleiben. Keine Regel zwingt einen dazu, seine Arbeitstage nicht auch zu genießen. Bei der nächsten Mittagspause geht es für mich also wieder mit Kollegen raus, in die Sonne, zu lustigen Gesprächen und einem kurzen Erholungsmoment.