Es ist früh, die Sonne steht gerade so am Himmel. Es ist kalt, kleine Wölkchen vor unseren Mündern. Es ist angespannt, alle starren erwartungsvoll auf das Gitter. Es ist routiniert, jeder Mitstreiter wird genau abgeschätzt. Ein Blick auf die Uhr verrät: Der Zeitpunkt rückt näher.
Immer mehr Menschen drücken sich in die Nähe des Tors. Versuchen, durch den Drahtzaun erste Blicke auf die besten Schätze zu werfen. Das Stimmengewirr ist vielsprachig: Französisch, natürlich, aber auch Spanisch, Polnisch, Niederländisch, Englisch… und war das ein Fetzen italienisch?
Die Kleidung ist stinknormal bis exzentrisch. Von Jeans und soliden Arbeitsschuhen hin zu Mützen und Hüten aus einer vergangenen Zeit, halblangen Gehröcken aus Samt oder Leder und Fingerhandschuhen.
Zwischen Fußballstadion und Gewerbegebiet einer südfranzösischen Stadt hat sich kurz vor sieben Uhr morgens eine der merkwürdigsten menschlichen Konstellationen zusammengefunden, die ich erlebt habe. Ein Antiquitätenmarkt ist an diesem Sonntagmorgen geplant. Kein Markt für Touristen, die ihre unerfahrenen Augen gelangweilt schlendernd über Waren gleiten lassen. Nein, dieser Markt ist für Profis, für Händler und Kundige.
Die Minuten ticken langsam voran, sieben Uhr naht. Vor dem eisernen Tor wächst die Anspannung. Jeder bereitet sich auf den Moment vor, in dem die Flügel auseinander gleiten und Einlass gewähren. Jeder möchte als erster hinein, das Sortiment begutachten und die Filetstücke heraus säbeln, bevor sie von einem Mitstreiter erbeutet werden. Das Stimmengewirr wird zu einem Surren, wie von einem Schwarm.
Drinnen warten die Feilbieter. Ihre Schätze haben sie zum Verkauf herausgeputzt und möglichst elegant präsentiert. Funkelndes Kristall, glänzend polierte Intarsienarbeiten und liebevoll restaurierte Möbel warten auf den Ansturm. Ihr ehrwürdiges Alter ist dabei gekonnt hervorgehoben: Hier ein Hauch Staub, dort ein kleiner, sichtbarer Kratzer.
Punkt sieben: Ordner öffnen das Gitter und bringen sich mit einigen schnelle Schritten aus der Schusslinie in Sicherheit. Die Heuschrecken fliegen los, die wenigen Touristen, Nicht-Eingeweihten, bleiben verdattert stehen.
Für die modernen Glücksritter muss es jetzt schnell gehen – entscheidet sich doch in diesen ersten Minuten, ob der Tag zum Erfolg oder zur Niederlage erklärt wird. Wer hat die besseren Augen, das bessere Gespür, die besseren Nerven? Im Sturmschritt durch die glitzernden Reihen, Instinkt und Expertise in voller Witterung, die Augen weit offen und die Fingerspitzen bereit, ein Objekt kundig und schnell zu begutachten.
Im Nacken stets die Sorge, am nächsten Stand verstecke sich DAS beste Stück des Tages, das eine, wahre Schnäppchen.
20 Minuten später ist die erste, wilde Runde vorbei. Einige Glückliche reiben sich die Hände – ihr Tag ist bereits zu Ende. Sie haben reiche Beute geschlagen und gönnen sich erst einmal ein Croissant und eine Tasse schwarzen Kaffee. Damit stellen sie sich an den Rand des Geschehens und beobachten ihre erfolglosen Mitstreiter.
Diese bezwingen ihre innere Heuschrecke und holen den Terrier zum Vorschein. Noch wird nicht locker gelassen: Jetzt ist es an der Zeit, jedes Angebot genau zu begutachten, jedes Objekt einmal in die Hände zu nehmen – vielleicht verbirgt sich etwas darunter? Die zweite Wahl wird zur Option – ein Hüftsteak reicht in Ermangelung eines Filets aus.
Während sich die Touristen an dem restlichen Flitter und Tand erfreuen und im Handeln versuchen, rücken die Kutschen der Glücksritter an: Eine Armada an Klein-Lkw überschwemmt die Rückseite des Marktgebäudes. Auf Wägelchen und Karren verfrachten Laufburschen die wertvollen Objekte hinein. Tische, Stühle, Bilder, Vasen, Spiegel, Puderdöschen, die schon mehrere Generationen haben vorübergehen sehen, machen sich gut gepolstert auf die Reise. Auf manche wartet ein gut gelüftetes Lager, in dem sie noch eine Weile verharren müssen. Andere kommen direkt in ihre neuen vier Wände.
Die Gewinner des Tages paradieren mit ihrem stolzen und glücklichen Grinsen noch eine Weile durch das Labyrinth an Antiquitäten. Sie haben genug Zeit, hier und dort einen kurzen Plausch zu halten. Steigt die Sonne immer höher in den Himmel, gesellen sich immer mehr Leer-Augegangene mit einem halb schiefen, halb sportlichen Lächeln dazu.
Es ist halb zehn, das Städtchen ist inzwischen aufgewacht. Es ist warm, die Jacken wurden ausgezogen. Es ist abgekämpft, der wilde Beutezug ist vorbei. Es ist entspannt, die Glücksritter, modernen Piraten und Gelegenheitennutzer sind schon längst wieder weg.