Im letzten Sommer kehrte ich für drei Monate in die Heimat meiner Kindheit und Jugend zurück. Nach einer ausgiebigen Mittagspause ging ich gleich am ersten Tag in die ortsansässige Filiale der Société Générale, einer der größten Banken Frankreichs. Seit Jahren lagerte dort auf meinem Konto ein wenig Geld, das ich jetzt gut gebrauchen konnte.
Am Schalter blinzelte mir eine fröhliche Dame mit kurzen grauen Haaren freundlich entgegen. Schnell schob ich meinen Ausweis auf die Ablage und bat um die Auszahlung meines Guthabens. Die nette Frau tippte einige Minuten auf ihrem Computer herum und fragte schließlich beiläufig:
„Das Konto haben sie aber nicht in dieser Filiale erstellt, oder?“ Ich verneinte. Meine Familie wohnte damals etwas weiter weg, mein Konto wurde drei Ortschaften weiter eröffnet. Hinter ihrem Schalter grinste mich die Mitarbeiterin mitleidig an:
„Dann können sie das Geld auch nicht hier abholen. Das geht nur in der Filiale, in der sie das Konto erstellt haben“.
Nach einem vorsichtigem Lachen und einigen ungläubigen Blicken wurde mir klar, dass die Dame nicht scherzte. Vertraulich beugte ich mich ein wenig zu ihr herüber:
„Die Société Générale ist doch eine Bank, oder?“
„Sehr wohl Mademoiselle“, leicht zickiger Unterton.
„Das Prinzip einer Bank ist doch, dass man das Geld irgendwo einzahlt, um es dann von irgendwo anders wieder abholen zu können, richtig? Ist das nicht sozusagen ihre einzige legitimierende Aufgabe?“
„Prinzipiell stimmt das durchaus, Mademoiselle, aber um ihnen ihr Guthaben hier auszahlen zu können, brauche ich eine Erlaubnis von der Filiale, in welcher ihr Konto erstellt wurde. Diese Erlaubnis können sie telefonisch anfordern.“
„Also rufe ich jetzt dort an, und bitte darum, dass sie mir hier MEIN Geld geben können. Könnte ich dann auch gleich alle Filialen in Frankreich freischalten lassen? Wenigstens wäre dieses Problem ein für alle Mal geregelt!“
„Ich fürchte, Mademoiselle, das geht nicht. Die Erlaubnis zur Auszahlung ist nur einmalig gültig und gilt auch nur einen festgelegten Betrag…“.
Drei Anrufe, einen kleinen Wutanfall und einen Tag später hielt ich endlich, mit dem wunderbaren Gefühl des Triumphes, mein Geld in der Hand.
In den nächsten Monaten lief ich täglich mit heiterer Gelassenheit an der Bank vorbei. Das freundliche Winken der netten Mitarbeiterin erwiderte ich leichten Herzens in dem Wissen, nie wieder dieses Gebäude betreten zu müssen … Bis mir der Redakteur eröffnete, dass er mein Gehalt ausschließlich auf ein französisches Konto überweisen könne. Seit jenem Tag lief ich einen Umweg nach Hause, um dem lächelnden Winken zu entgehen. Doch die Bank lauerte weiter.
Und je näher der Tag meiner Rückreise nach Deutschland rückte, desto öfter schlich sich eine kleine Stimme mantramäßig in mein Bewusstsein: „Du wirst da wieder rein gehen müssen! Du wirst da wieder rein gehen müssen! Du wirst… müssen!“.
Doch ich beschloss, der netten Dame mit den kurzen grauen Haaren ein Schnippchen zu schlagen. Ich rief in der Filiale an, in welcher mein Konto eröffnet wurde, und machte einen Termin aus, um erstens das Geld abzuholen und zweitens das Konto zu schließen. Schluss, aus, vorbei!
Einen Nachmittag später organisierte ich eine Fahrgelegenheit und kam überpünktlich an. Nach einem langen Gespräch mit einer netten Mitarbeiterin verließ ich die Bank eine knappe Stunde später … Ohne Geld.
Das Konto habe ich übrigens immer noch.